2022-05-05

Klimaschutz - Gemeinwohl - Bürgerbeteiligung - Gesellschaft - Projekt - Windenergie - Beschluss 1 BvR 1187/17 BVerfG

Bürgerbeteiligung und Bürgerprojekte mit Kapitalbeteiligung von Bürger*innen, Anwohner*innen sind endlich auch verfassungsrechtlich abgesichert.

Es gibt nun keine Ausreden mehr für Gemeinden, Länder und den Bund, aber auch für Unternehmen, alle Bürger wirklich teilhaben zu lassen an der Energiewende. Die Worte Klimaschutz - Gemeinwohl - Bürgerbeteiligung - Gesellschaft - Projekt werden in dem Beschluss 1 BvR 1187/17 vom 23.03.22 des Bundesverfassungsgerichts vielfach wiederholt.

Ändert endlich die Gesetze, die eine skalierbare wirtschaftliche Teilhabe auch mit Kapitalbeteiligungen an gemeinwohlorientierten Projekten insbesondere zum Klimaschutz behindern oder verhindern. Bürger*innen sollten nicht mehr als Melkkuh von Finanzgesellschaften, Investmentfonds für ETF (Exchange Traded Funds), Aktienanlagen etc. benutzt werden. Wir haben heute Möglichkeiten genug, uns direkt vor Ort zu beteiligen an Windrädern, Solaranlagen, Speicheranlagen etc.
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, Rahmenbedingungen zu schaffen, um dies großflächig skalierbar zu ermöglichen.
Das Gesetz zur Teilhabe, das Mecklenburg-Vorpommern (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz - BüGembeteilG) geschaffen hat, ist eine Vorlage für viele weitere Beteiligungsmöglichkeiten.

Der Klimawandel, Artenschutz, Klimaschutz, Unabhängigkeit, Preisstabilität, Akzeptanz der Veränderung, Energiewende und Energiewandel sind nur gemeinsam von Regierungen, Verwaltungen, Unternehmen und Bürger*innen als Gesamtgesellschaft lösbar und zu gestalten. Dazu gehört auch die wirtschaftliche Teilhabe als Produzent erneuerbarer Energien und nicht nur als Konsument von Energie. Wer möchte, kann teilhaben an dieser anderen Wirtschaft, die aus Millionen von Prosumenten (Prosumern) besteht.

Dieser Beschluss ist eine Fortsetzung der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz.  (siehe hier: Klimaschutzgesetz – Abkommen von Paris 2015 – IPCC – Art. 20a GG – Art. 2 GG – BVerfG – Entscheidung 2021 - Worum geht es?)

Im Beschluss des BVerfG zur Windkraftanlagenbeteiligung sind so viele wunderbare Sätze enthalten, dass ich an dieser Stelle die Kernaussagen als zitierten Exzerpt (Ausschnitt, Auszug) zusammengefasst habe.

Pflicht zur Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden an Windparks im Grundsatz zulässig Pressemitteilung Nr. 37/2022 vom 5. Mai 2022 - Beschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1187/17

… Dieses Gesetz verpflichtet die Betreiber von Windenergieanlagen (Vorhabenträger), … Projektgesellschaft … und Anwohnerinnen und Anwohner sowie standortnahe Gemeinden durch den Erwerb von Gesellschaftsanteilen … Ausbau der Windenergie an Land gefördert werden. Die damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel …

Sachverhalt:

1. … den „Kaufberechtigten“ mindestens 20 % der Anteile an der Projektgesellschaft anzubieten. Kaufberechtigt sind Personen, die in einer Entfernung von nicht mehr als fünf Kilometer vom Standort des Windparks leben und diejenigen Gemeinden, auf deren Gebiet sich die Anlage befindet oder die nicht mehr als fünf Kilometer vom Standort entfernt liegen. Der Vorhabenträger kann stattdessen als „wirtschaftliche Surrogate“ einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung den kaufberechtigten Gemeinden die jährliche Zahlung einer „Ausgleichsabgabe“ und den Anwohnern den Erwerb eines Sparprodukts anbieten; …

2. Die Beschwerdeführerin … rügt eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) und der abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG).

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz ist formell und überwiegend auch materiell verfassungsgemäß.

I. Die Gesetzgebungskompetenz des Landes ist gegeben. Insbesondere schaffen die Pflichten der Vorhabenträger zur Gründung von Projektgesellschaften und zur Beteiligung Dritter an denselben selbst kein zur konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für das „Recht der Wirtschaft“ nach Art 74 Abs. 1 Nr. 11 GG gehörendes und vom Bund bereits umfassend geregeltes Gesellschaftsrecht, sondern sind kompetenzrechtlich dem Teilbereich „Energiewirtschaftsrecht“ dieses Kompetenztitels zuzuordnen. … Bürgerbeteiligung und zur Steigerung der Akzeptanz für den Bau neuer Windenergieanlagen - keine Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG.

… alternative Pflicht zur gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an der Projektgesellschaft - unmittelbar dem gemeinwohldienlichen Ausbau der Windenergie an Land. Mit dieser Zielsetzung unterfällt die Abgabe ebenfalls der Sachgesetzgebungskompetenz des „Energiewirtschaftsrechts“ nach Art 74 Abs. 1 Nr. 11 GG.

II. Die angegriffenen Pflichten zur Gründung von Projektgesellschaften und zur Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden an denselben durch den Erwerb von Anteilen und alternativ den Erwerb von Sparprodukten oder die Zahlung einer Abgabe an die Gemeinde verletzen die Vorhabenträger nicht in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit.

1. … Damit dient das Gesetz - wie jede Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien - den legitimen Gemeinwohlzielen des Klimaschutzes (Art. 20a GG), des Schutzes der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung. Der klimaschädliche Ausstoß von CO2 verringert sich in dem Maße, in dem die herkömmliche Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umgestellt und der Verbrauch fossiler Energieträger in anderen Sektoren wie Verkehr, Gebäude oder Industrie durch Strom aus erneuerbaren Energien oder durch unter Verwendung solchen Stroms erzeugte „grüne“ Energieträger wie zum Beispiel Wasserstoff ersetzt wird. Dies dient zugleich der verfassungsrechtlichen Pflicht, Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) auch durch eine Verringerung des Ausstoßes von CO2 vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Darüber hinaus sichert eine vermehrte Nutzung erneuerbarer Energien die Versorgung mit Strom. Insoweit besteht ein erhöhter Bedarf infolge der durch das Klimaschutzziel des Art. 20a GG gebotenen Rückführung der Stromgewinnung durch Verbrauch fossiler Energieträger bis hin zur Klimaneutralität …

2. Die den Vorhabenträgern auferlegten Pflichten sind im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet und erforderlich, um diese Gemeinwohlziele erreichen zu können. …, dass die Akzeptanz für Windenergieanlagen an Land durch eine Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden an Windparks verbessert werden kann. …

3. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger steht nicht außer Verhältnis zum Gewicht und zur Dringlichkeit der verfolgten Gemeinwohlzwecke.

a) Allerdings weist der Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger eine beträchtliche Intensität auf. … einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung wird der Ertrag der beruflichen Tätigkeit der Vorhabenträger entsprechend gemindert. …

b) Dem stehen Gemeinwohlbelange von ebenfalls beträchtlichem Gewicht gegenüber.

aa) Das gilt einmal für den Schutz des Klimas und der Grundrechte vor den Folgen des Klimawandels. …

Ohnehin kann die Gemeinwohlbedeutung von Maßnahmen der Länder oder Kommunen zur Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien nicht allein nach der Strommenge bemessen werden, die bezogen auf den jeweiligen räumlich begrenzten Anwendungsbereich erzielt wird. Vielmehr kommt es auch auf eine Gesamtbetrachtung der durch gleichartige Maßnahmen erzielten oder erzielbaren Strommenge an. Gemeinwohlverstärkend kann sich insoweit insbesondere auswirken, dass Maßnahmen wegen ihres Pilotcharakters länderübergreifende Bedeutung haben. …
Das Gesetz kann daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen.

Darüber hinaus können einzelne Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien Gemeinwohlbedeutung dadurch erlangen, dass sie einen Beitrag zu dem in eine internationale Kooperation eingebundenen nationalen Klimaschutz leisten. …

bb) Für das Gemeinwohlziel der Sicherung der Stromversorgung kommt Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien umso größere Bedeutung zu, je höher die dadurch erzielbare Strommenge ist. …

c) Die danach insgesamt beträchtliche Gemeinwohlbedeutung der den Vorhabenträgern auferlegten Pflichten vermag die damit verbundene Beschränkung der Berufsfreiheit derselben trotz ihrer Intensität zu rechtfertigen. … Denn das gesetzliche Ziel, die Akzeptanz zu verbessern, … Dies relativiert die Schmälerung der Rendite, die die Vorhabenträger infolge der Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden an der Gewinnausschüttung oder am prognostizierten Ertrag der Projektgesellschaft hinzunehmen haben.

4. Unverhältnismäßig ist … Pflicht zur … unverzüglich … umfassenden … wirtschaftlichen Daten …

III. 1. Die angegriffenen Regelungen greifen daneben nicht in die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 GG ein, weil dieses Grundrecht hier durch das sachnähere Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verdrängt wird. …

2. Die ungleiche Behandlung der abgabepflichtigen Vorhabenträger gegenüber den dieser Abgabe nicht unterliegenden Steuerpflichtigen ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Wie oben ausgeführt, dient die Abgabe nicht der Finanzierung gemeindlicher Aufgaben, sondern unmittelbar selbst der gemeinwohldienlichen Förderung des Ausbaus der Windenergie an Land durch eine Verbesserung der Akzeptanz hierfür in der Bevölkerung. Die Abgabe ist als solche zur Erreichung der damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor schädlichen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung geeignet, erforderlich und angemessen. …

Bundesverfassungsgericht - Beschluss rs20220323_1bvr118717

Dietmar Helmer - 12:47 @ Nachhaltige Marktwirtschaft, Erneuerbare Energien, Windenergie, Wirksamkeit und Effizienz | Kommentar hinzufügen